Stichworte
Prüfung Bauträgervertrag, Bauträger, Abnahme, Übergabeverpflichtung, Bezugsfertigkeit, Mangel, Einbehalt, Werkvertrag, Verbraucherschutz, unangemessene Benachteiligung
Landgericht München
Verfügung v. 23.06.2016 – 11 O 10314/16
Kurzfassung
Leitsätze:
Eine Regelung in allgemeinen Geschäftsbedingungen, dass der Bauträger zur Übergabe des Vertragsobjekts nach vollständiger Fertigstellung und Abnahme verpflichtet sei, benachteilige den Erwerber unangemessen, da eine Abnahme ohne Übergabe faktisch und rechtlich nicht möglich sei. (redaktioneller Leitsatz)
Unwirksam sei auch eine Klausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Bauträgers, nach der eine Übergabe wegen ausstehenden fälliger Zahlungen verweigert oder nur Zug um Zug gegen Zahlung gewährt werden könne, da der Erwerber ein schutzwürdiges Interesse habe, das Wohnungseigentum bei Bezugsfertigkeit beziehen zu können. (redaktioneller Leitsatz)
Das dem Bauträger in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam eingeräumte Ermessen, den Besitz bereits bei Bezugsfertigkeit einzuräumen, hat dieser unter Berücksichtigung der den Erwerbern entstehenden Schäden sowie des eigenen Verzugs mit der Fertigstellung der Billigkeit entsprechend gem. § 315 Abs. 1, 3 BGB auszuüben. (redaktioneller Leitsatz)
Entscheidungsgründe
...
Der Antrag ist auch begründet.
Den Antragstellern steht
- ein Anordnungsanspruch (§§ 936, 916 ZPO) zu
und
- ein Anordnungsgrund (§ 940 ZPO) zur Seite.
I.
Anordnungsanspruch
Die Antragsteller haben einen fälligen und durchsetzbaren Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin ihnen ... den Besitz an der streitgegenständlichen Wohnung übergibt.
1.
Die Antragsteller haben zu den Vertragsgrundlagen Folgendes glaubhaft gemacht:
Die Antragsgegnerin hat in dem streitgegenständlichen Bauträgervertrag ... die Herstellung des Kaufobjekts bis zum 31.8.2015 versprochen. Die Antragsteller haben die ersten fünf Raten bezahlt ...
Offen stehen rund 93.000,- €, nämlich:
Rate 6 (Bezugsfertigkeit) mit 51.081,92 €
Rate 7 (vollständige Fertigstellung) mit 11.455,97 € und
ein Einbehalt nach § 632 a BGB mit 30.399,95 € aus Rate 1, der die vollständige Fertigstellung absichern sollte ...
Die Antragsgegnerin ist entschlossen ..., den Antragstellern den Besitz erst einzuräumen, wenn die Antragsteller
- das Objekt abgenommen haben und
- die gesamte vereinbarte Bauträgervergütung bezahlt ist (mit Ausnahme eines Selbstabzugs der Antragsgegnerin in der Größenordnung von rund 10.000 €).
2.
Die Antragsteller meinen, die offenen Beträge (siehe 1.-) vorerst nicht zahlen zu müssen, da ihnen wegen Mängeln ... ein Leistungsverweigerungsrecht zustehe ...
3.
Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht (ASt 1), dass der Bauträgervertrag zur hier umstrittenen Besitzübergabe folgende textliche Aussagen trifft:
„Der Verkäufer ist zur Übergabe verpflichtet, wenn das Vertragsobjekt vollständig fertig gestellt und die Abnahme durchgeführt ist. Er kann den Vertragsbesitz nach seinem Ermessen auch nach dessen bezugsfertiger Herstellung und Abnahme übergeben“ (ASt 1, Seite 14/15).
Es folgt der Nachsatz: „Die Übergabe kann jedenfalls verweigert werden, wenn der Käufer nicht alle zu diesem Zeitpunkt fälligen Zahlungen geleistet hat oder Zug um Zug gegen Übergabe leistet“ (ebd.).
4.
Mit der Besitzübergabe in Zusammenhang stehen folgende Regelungen betreffend Fälligkeit der Bauträgervergütung:
Die sechste Rate ... soll fällig sein „nach Bezugsfertigkeit und Zug um Zug gegen Besitzübergabe“.
Die siebente Rate ... ist fällig „nach vollständiger Fertigstellung“.
An die vollständige Fertigstellung knüpft auch die Fälligkeit eines Einbehalts aus der Rate‑1 an.
Im Anschluss an die Ratenstaffel bestimmt der Vertrag: „Klargestellt wird, dass ein Anspruch des Käufers auf Besitzübergabe erst nach vollständiger Fertigstellung besteht“ ...
7.
Glaubhaft (hier wie immer im Sinne von „überwiegend wahrscheinlich“ für das Gericht) ist auch, dass die vorzitierten Bestimmungen des Vertrages allgemeine Geschäftsbedingungen der Antragsgegnerin sind:
Bauträgerverträge werden typischerweise im Wesentlichen gleichlautend mit allen Erwerbern abgeschlossen. Auch das Erscheinungsbild von ASt 1 spricht eher für als gegen die AGB-Qualität.
8.
Nach § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 2 BGB unwirksam ist bereits folgender Satz aus dem Vertrag:
„Der Verkäufer ist zur Übergabe verpflichtet, wenn das Vertragsobjekt vollständig fertig gestellt und die Abnahme durchgeführt ist“.
Dieser Satz benachteiligt den Erwerber (bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung) unangemessen und gefährdet den Zweck des Vertrages: Dem Erwerber wird angesonnen, etwas abzunehmen, was er rechtlich und faktisch nicht abnehmen kann. „Abnahme“ ist bekanntlich die körperliche Entgegennahme des Werks verbunden mit der Billigung als im Wesentlichen vertragsgemäß. Die körperliche Entgegennahme hängt bei Bauleistungen (wie hier) davon ab, dass dem Erwerber der Besitz übergeben wird. Die Antragsschrift erwähnt zutreffend, dass die hier befasste Kammer diese Auffassung schon einmal betätigt hat (LG München I, Urteil vom 3.12.2015, 11 O 12198/15).
9.
Als AGB unwirksam nach vorgenannter Norm ist ferner (schon für sich genommen, aber erst recht in Verbindung mit dem vorzitierten Satz) folgende Klausel: „Die Übergabe kann jedenfalls verweigert werden, wenn der Käufer nicht alle zu diesem Zeitpunkt fälligen Zahlungen geleistet hat oder Zug um Zug gegen Übergabe leistet“. Unterstrichen wird diese Wertung durch die Verbindung, in der beide Sätze damit stehen, dass die Besitzübergabe in einem Zug-um-Zug-Verhältnis mit der Zahlung der Rate 6 steht (siehe oben) ...
Nach der folglich anwendbaren Vorschrift des § 307 Abs. 1 BGB ist die Gestaltung eine unangemessene Benachteiligung des Durchschnitts-Wohneigentums-Erwerbers, weil dieser regelmäßig ein schutzwürdiges Interesse hat, das Wohneigentum bei Bezugsfertigkeit tatsächlich auch beziehen zu können und zwar typischerweise zu einem Zeitpunkt, in dem die vollständige Fertigstellung noch nicht erreicht ist. Der Durchschnittserwerber hat regelmäßig seine Investition in das Wohneigentum derart kalkuliert und finanziert, dass eine möglichst frühe Wohnnutzung darin eine erhebliche Rolle spielt, damit der Erwerber möglichst zügig die laufende finanzielle Belastung hinter sich lassen kann, die mit der vorherigen Wohnung verbunden ist. Mit einem Wort:
Der Durchschnittserwerber ist auf einen Bezug vor (vollständiger) Fertigstellung angewiesen. Angewiesen ist er folglich auch darauf, dass die noch fehlende vollständige Fertigstellung effizient abgesichert wird. Die hier untersuchte Gestaltung führt dazu, dass der Erwerber entweder am frühzeitigen Bezug gehindert sein wird, oder er muss auf die Besicherung hinsichtlich der vollständigen Fertigstellung verzichten, indem er die Schlussrate bereits bei Bezug zahlt.
Auch diese Erwägungen sind nicht neu, sondern die Antragsschrift erwähnt zutreffend, dass sie von der 8. Zivilkammer des Landgerichts München I schon in sehr ähnlicher Form angestellt wurden (Landgericht München I 23.4.2015, 8 O 6509/15).
10.
Auch als AGB wirksam einzustufen ist der Satz, der besagt, es könne der Verkäufer „den Vertragsbesitz nach seinem Ermessen auch nach dessen bezugsfertiger Herstellung und Abnahme übergeben“ – also vor der vollständigen Fertigstellung ...
11.
Das der Antragsgegnerin eingeräumte Ermessen hat die Antragsgegnerin nach alledem nicht willkürlich, sondern so auszuüben, dass
erstens der Billigkeit genügt wird (§ 315 Abs. 1 BGB), was notfalls durch gerichtliche Entscheidung durchzusetzen ist (§ 315 Abs. 3 BGB),
zweitens Schäden gering gehalten werden, denn aus § 249 BGB folgt erst recht, dass der jeweilige Schädiger gehalten ist zu verhüten, dass ein bereits eingetretener Schaden sich in vermeidbarer Weise vertieft.
Es entspricht erstens der Billigkeit, den Antragstellern nunmehr den Besitz der Wohnung einzuräumen, da die Gesamtleistung bereits am 31.8.2015 hätte fertiggestellt sein müssen.
Dadurch wird zweitens der Schaden minimiert, der den Parteien droht, wenn die Antragsteller weiterhin nicht einziehen.
Das gilt unabhängig von der streitigen Frage, ob und ggf. wann zum Fertigstellungsverzug der Antragsgegnerin ein Zahlungsverzug der Antragsteller hinzugetreten sein mag ...
II.
Anordnungsgrund
Glaubhaft gemacht ist, dass der Antragsteller zu 1 (auf den hier abzustellen ist) in einem unzumutbaren Provisorium haust (Ast 12) und dort definitiv nur noch bis zum 30.6.2016 bleiben kann (ASt 5). Glaubhaft gemacht ist auch, dass der Antragsteller zu 1 nicht die Mittel hat, um Beherbergungskosten für ein neues Provisorium zu tragen ...
Das Gericht ist sich klar darüber, dass der Anordnungsgrund bei einer Leistungsverfügung besonders kritisch zu prüfen ist. Die Wesentlichkeit der Nachteile kann dabei nur das Ergebnis einer Abwägung sein, die die Interessen der Parteien möglichst umfassend einbezieht, insbesondere auch die der Antragsgegnerin. Dabei waren für die Kammer folgende Erwägungen leitend:
1.
Die Antragsgegnerin will erkennbar verhindern, dass der Erwerber einerseits einzieht, andererseits Zahlungen zurückhält (wie es oftmals geschieht, typischerweise unter Berufung auf Mängel). Denn dergleichen ist für die Antragsgegnerin aus zweierlei Gründen misslich: Erstens muss sie sich mit dem Erwerber streiten, zweitens trägt sie als Bauträgerin derweil das Insolvenzrisiko des Erwerbers.
Dem zweiten Nachteil (Insolvenzrisiko) begegnet diese Verfügung, indem die Kammer anordnet, dass die Antragsgegnerin zu besichern ist in Höhe des noch offenen Restkaufpreises ...
2.
Den erstgenannten Nachteil („Streiten-Müssen“) kann die Kammer nicht beseitigen: Sie kann niemandem ersparen, sich mit seinem Vertragspartner auseinandersetzen zu müssen ...
(Den vollständigen Text der Entscheidung finden Sie hier)